Wer soll das bezahlen...?
Von Stephan Hüsler, Geschäftsleiter Retina Suisse
Kurz nach der Zulassung durch Swissmedic im Februar 2020 wurde der Antrag zur Aufnahme auf die Spezialitätenliste SL beim Bundesamt für Gesundheit BAG bzw. Bundesamt für Sozialversicherungen BSV eingereicht. Die Verhandlungen sind im Gang, unterliegen jedoch keinem strikten zeitlichen Rahmen wie das Verfahren bei Swissmedic. Es ist deshalb unklar, wie lange ein Entscheid auf sich warten lässt. Im Durchschnitt dauert es für die Aufnahme von sog. Orphan Drugs auf die SL 2 Jahre (1). Finnland und die Schweiz sind die einzigen europäischen Länder, in denen Luxturna® (noch) nicht durch die Krankenversicherungen bezahlt werden.
Wie für die Zulassung durch Swissmedic muss die Zulassungsinhaberin auch beim BAG ein Gesuch zur Aufnahme auf die SL stellen. Es sind nur ungefähr 60 % der Wirkstoffe mit Orphan-Drug-Status auf der SL aufgeführt und werden somit durch die obligatorische Krankenkasse vergütet (1). Damit sind die Patient*innen sowohl für die Zulassung durch Swissmedic wie auch bei der Aufnahme auf die SL auf den Goodwill der Pharmafirmen angewiesen. Hier spielt die Grösse des Schweizer Marktes eine entscheidende Rolle. Eine Firma wird sich gut überlegen, ob sich der Aufwand für sie lohnt. So wurde Luxturna® im Dezember 2017 durch die FDA, im September 2018 durch die EMA und erst im Februar 2020 durch Swissmedic zugelassen.
In Fällen, bei denen eine Behandlung auf der SL nicht aufgeführt wird, kann der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin durch die Zuhilfenahme von Art. 71 a-d KVV einen Antrag auf Kostengutsprache bei der Krankenkasse stellen. Die Zulassungsinhaberin wird daraufhin mit der Versicherung über die Kosten verhandeln. Auch dieses Verfahren unterliegt keinerlei Zeitdruck.
Gentherapien sind aus verschiedenen Gründen nicht billig. Deshalb sind die Zulassungsinhaber gefordert, innovative Finanzierungsmodelle vorzuschlagen. Seit Einführung von Luxturna® in den USA ist davon die Rede. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies auch in der Schweiz in dieser Weise abläuft.
Jeder Tag ohne Behandlung bedeutet den Verlust von Gewebe, das nicht mehr behandelt werden kann
In diesem Hin und Her zwischen Versicherung und Pharmafirma bleiben die Patient*innen unbeachtet. Sie sind machtlos. Selbstverständlich entstehen durch dieses Gesetz auch Ungerechtigkeiten, indem die eine Krankenkasse die Kosten übernimmt, eine andere jedoch nicht. Das wurde auch im Evaluationsbericht gezeigt, den das BAG in Auftrag gegeben hat (2). Der fehlende Zeitdruck bewirkt auch, dass das Verfahren unendlich in die Länge gezogen werden kann. Es wird das Argument vorgebracht, dass man auf die Aufnahme auf die SL warten will. Für Menschen mit degenerativen Krankheiten ist dies jedoch fatal. Jeder Tag ohne Behandlung bedeutet den Verlust von Gewebe, das nicht mehr behandelt werden kann. Und so warten die Krankenkassen, bis ihre Versicherten für die Behandlung nicht mehr in Frage kommen.
... wer hat so viel Geld?
In der Schweiz gibt es 11 soziale Sicherungssysteme. Diese extreme Verzettelung hat zur Folge, dass eine Übersicht fehlt. Jede dieser Institutionen versucht, Kosten zu vermeiden oder reduzieren und in eine andere Institution abzuschieben. Dieses Spiel wird schon seit vielen Jahren zwischen Arbeitslosenversicherung, Invalidenversicherung und Sozialhilfe beobachtet und kritisiert. Jetzt kommt die soziale Krankenversicherung hinzu.
Die Verzögerung des Entscheids über die Kostengutsprache bewirkt, dass die Betroffenen Patient*innen ihre Sehkraft verlieren. Die Folgen sind vielfältig und können hier nicht abschliessend aufgezählt werden. Nebst der psychischen Belastung durch das Warten auf den Entscheid für die Betroffenen und ihre Angehörigen kommen der mögliche Verlust des Arbeitsplatzes, der Arbeitsfähigkeit im angestammten Beruf und damit verbundene Umschulung, die Ausstattung mit und das Training von Hilfsmitteln und nicht zuletzt eine (Teil-)Invalidenrente oder Arbeitslosentaggeld und Sozialhilfe hinzu. Neben diesen nur schwer bezifferbaren Kosten müssen auch tiefere Steuereinnahmen und Sozialversicherungsabgaben und damit tiefere Altersguthaben in AHV und Pensionskasse berücksichtigt werden.
Somit sind es am Ende nicht die Krankenkassen, sondern ihre Versicherten - also wir alle in der Schweiz wohnhaften Personen, die das Bezahlen. Die grösste Last tragen aber die Patient*innen und ihre Angehörigen, die mit dem Wissen leben müssen, dass ihre Krankheit hätte geheilt werden können.